Von Leben und Tod – Mein Weg durch die Kinderwunschzeit

Eine Frau hält ein Baby in einem Krankenhausbett und dokumentiert ihre Reise durch den Kampf und die Triumphe der Fruchtbarkeit.
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Claudia

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Mir war schon sehr früh klar, dass ich einmal Kinder haben wollte und möglichst nicht nur eins. Geplant habe ich eigentlich nie etwas so richtig – ich ließ das Leben auf mich zukommen, ließ mich überraschen und mitreißen. Als ich mit 21 das erste Mal schwanger wurde, musste ich für dieses kleine Wunder kämpfen. Viele – auch der Vater des Kindes – legten mir eine Abtreibung nahe. Ich sei doch noch so jung und solle mir nicht mein Leben verbauen. Doch ich liebte diesen Menschen von Anfang an und wollte dieses kleine Mädchen nicht wieder von mir schicken.

Ich setzte mich durch und nachdem auch seitens der Fachschule, an der ich meine Ausbildung zur Erzieherin machte, alles geklärt war, freute ich mich einfach auf dieses Baby. Am 30.09.1984 brachte ich meine kleine Tochter auf die Welt. Nach einem vorzeitigen Blasensprung musste die Geburt eingeleitet werden, dem Kind ging es aber gut und schon bald konnte ich das gesunde Mädchen in meinen Armen halten. Mit 2880 Gramm und 49 cm war sie zwar klein aber nicht gefährdet und auch keine Frühgeburt.

Ich sollte noch einige Tage im Krankenhaus bleiben und dufte mein Kind dort näher kennenlernen. Doch manchmal sieht das Schicksal einen anderen Weg für uns vor, als den, den wir gehen möchten. Zwei Tage nach der Geburt kam die Nachtschwester zu mir und sagte, dass meine kleine Tochter, mein Kind, das gerade einmal zwei Tage alt war, gestorben sei. In diesem Moment brach für mich eine Welt zusammen. Der kleine Mensch, für den ich so gekämpft hatte, der bei mir so willkommen war und den ich fast 40 Wochen in meinem Bauch getragen hatte, soll einfach so gegangen sein? Ich konnte es einfach nicht glauben und bat die Schwester darum, mein Kind noch ein letztes Mal sehen zu dürfen.

Damals gehörte dies noch nicht (wie heute) natürlich dazu um von seinem Kind Abschied zu nehmen und niemand konnte meine Bitte wirklich nachvollziehen. Man wollte mich erst nicht zu ihr lassen, doch letztendlich konnte ich die Schwester überzeugen und sie führte mich in den Keller des Krankenhauses. Dort lag zugedeckt ein kleiner bläulicher Körper, der nichts mehr mit meinem Kind gemein hatte. Sie, die Seele war wieder gegangen. Nur so konnte ich das Unfassbare begreifen.

Einsam und verlassen
einsam und verlassen
geht sie ihren Weg
schaust du in ihre Augen
zwei leuchtend helle Sterne
leuchten dir ins Herz
einsam und verlassen
geht sie ihren Weg

Dieses Gedicht schrieb ich für meine Tochter Carmen Pastor. Meine Tochter, die zwei Tage nach der Geburt im Krankenhaus, in dem sie zuvor das Licht der Welt erblickte, am plötzlichen Kindstod starb.

Ich trauerte um mein Kind, doch ich wollte nicht aufgeben. Ich wollte Mama sein. Ein Kind haben. Bald wurde ich wieder schwanger, dieses mal sagten mir die Ärzte, dass ich einen kleinen Jungen bekommen würde. Genau ein Jahr nachdem meine Tochter gestorben war, am 3. Oktober 1985, brachte ich meinen Sohn Janis zur Welt. Wieder wurde die Geburt aufgrund eines vorzeitigen Blasensprungs eingeleitet, dem Kind ging es aber zum Glück gut. Janis entwickelte sich normal und war ein aufgewecktes Kind. Ich liebte ihn so sehr, einfach dafür, dass er bei mir blieb.

Ein paar Jahre später trennten mein Mann und ich uns. Wir fanden jedoch wieder zusammen und ich wurde schwanger. Janis sollte ein Geschwisterchen bekommen und ich freute mich auch auf diese Kind von ganzem Herzen. Leider hielt die Beziehung zu meinem Mann nicht und noch während der Schwangerschaft trennten wir uns endgültig. Am 31.07.1989 um 11:44 Uhr kam meine Tochter Nele auf diese Welt. Die kommende Zeit war nicht einfach für mich, stand ich doch nun alleine mit zwei Kindern da. Zum Glück unterstützen mich meine Eltern sehr in dieser Zeit. Sie nahmen Janis mit in den Urlaub und nahmen ihn auch oft am Wochenende zu sich. Meinen jetzigen Mann lernte ich zudem schon bald nach Neles Geburt kennen und wir wurden ebenso bald ein Paar. Er hatte selber schon eine Tochter, nahm aber Nele und Janis an, als wären es seine Kinder und kümmerte sich liebevoll um sie.

Doch der nächste Schicksalsschlag ließ nicht lange auf sich warten. Am 05. November 1990 wurde Janis von einem Auto angefahren. Er kam sofort auf die Intensivstation im Krankenhaus, doch die Ärzte konnten nichts mehr für ihn tun. Noch in der selben Nacht starb mein kleiner Junge im alter von fünf Jahren aufgrund seiner Verletzungen. In solchen Momenten schüttet der Körper eigene Sedativa aus um sich zu schützen. ich war wie gelähmt und konnte es nicht glauben. Wieder wurde mir ein Kind genommen und dieses Mal war es mein Janis, den ich fünf Jahre lang kennen lernen durfte, den ich mehr liebte als alles andere und der meine Welt und mein Leben so bereichert hat.

Was hat mir damals geholfen, meinen Lebensmut nicht zu verlieren?

Es war Nele. Meine Tochter, die mich mit ihren 1,5 Jahren so sehr brauchte, die mich immer wieder aus meiner Trauer herausriss und meine Zuneigung, Aufmerksamkeit und Liebe einforderte. Auch mein Mann war eine große Stütze für mich, stand mir tröstend zur Seite und begleitete mich auf diesem schweren Weg. Zuletzt half mir auch mein fester Glaube daran, dass meine Kinder nun im Himmel sind, ihre Seelen somit weiter leben. Nicht hier bei uns aber im Jenseits.

Im Dezember 1990 fuhren ich, mein Mann, Nele und ein befreundetes Ehepaar nach Grömitz um dort Weihnachten zu verbringen. Weg von diesem furchtbaren Erlebnis. Weg von unserem Zuhause, in dem wir Weihnachten dieses Jahr ohne Janis feiern müssten. In diesem Urlaub wurde ein neuer Lebensfunke gezündet. Nur knapp 7 Monate später, am 28.07.1991, hatte ich erneut einen vorzeigen Blasensprung und die Geburt sollte eingeleitet werden. Noch am Wehentropf sagte mir der diensthabende Arzt, dass das Kind viel zu früh käme und darum auf die Frühchenstation muss. In diesem Moment stand alles still. Ich wollte diese Geburt jetzt nicht. Wollte mein Kind nicht abgeben. Wollte, dass es noch in meinem Bauch bleibt, bis es bereit für diese Welt ist. Die Geburt stand still, doch da die Fruchtblase geplatzt war, hatten die Ärzte keine Wahl, das Kind musste geholt werden. Es folgte ein Kaiserschnitt unter Vollnarkose, von dem ich benebelt aufwachte und nicht in der Lage war auf die Frühchenstation zu meinem Kind zu gehen.

Drei tage musste meine Tochter dort allein auf ihre Mama warten. Drei Tage, an denen man mir lediglich ein undeutliches Polaroid-Foto meiner Tochter zeigte, während ich ans Bett gefesselt mit meinem Schicksal haderte. Als ich endlich aufstehen konnte, war ich schnurstracks in der Kinderklinik. Nicht selten habe ich Angst, dass dieses Erlebnis bei meiner Tochter bleibende Spuren hinterlassen hat. Lange konnte sie nicht woanders schlafen und wollte auch nicht bei Oma und Opa bleiben. Ansonsten entwickelte sie sich jedoch gut und war ein freundliches kleines Mädchen.

Nur ein paar Monate später, im April 1992 wurde ich erneut schwanger. Ich wünschte mir noch einen Sohn und freute mich auch auf dieses Kind. Diese Schwangerschaft endete jedoch beinahe tödlich für mich. Im Juni 1992 wachte ich eines Nachts in einer riesigen Blutlache auf. Mein Kreislauf sackte weg und mein Mann holte sofort den Notarzt. Als nächstes kann ich mich daran erinnern, dass ich auf der Intensivstation aufwachte, auf der ich Jahre zuvor meinen Sohn Janis verlor. Dort sagten mir die Ärzte, dass die befruchtete Eizelle sich im Narbengewebe des Kaiserschnitts eingenistet hätte. Um mich zu retten, musste erneut ein Bauchschnitt vorgenommen werden und der Embryo wurde entfernt. Zudem legte mir der Arzt nahe keine Kinder mehr zu bekommen.

Doch diesen Rat konnte ich nicht befolgen. Ich wollte noch einen Sohn zur Welt bringen und ich wusste, dass dieser auf mich wartete. Im Mai 1993 wurde ich somit ein letztes Mal schwanger. Der Entbindungstermin wurde auf den 16.02.1994 festgesetzt, ein geplanter Kaiserschnitt sollte es werden, alles andere stand außer Frage. Die Schwangerschaft verlief normal, ich nahm nur doppelt so viel zu, wie in den vorherigen Schwangerschaften. Dem Baby ging es jedoch gut und es sollte tatsächlich mein kleiner Junge werden.

Der Termin der Geburt rückte näher und dieses Mal sollte der Kaiserschnitt unter lokaler Betäubung, mit einer PDA, stattfinden. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich in dem OP-Vorraum lag und mir die Spritze gesetzt wurde. Wenig später spürte ich meinen gesamten unteren Körper nicht mehr und ich merke, wie Angst in mir hochkroch. Worauf hatte ich mich da nur eingelassen?

Ich wurde in den OP geschoben und über meinem Bauch wurde ein großes Tuch aufgespannt, so dass ich nicht sehen konnte, was der Arzt dort machte. Dieser und die Krankenschwester fummelten herum und es dauerte und dauerte. Immer wieder sah ich zu der Uhr, die im Raum hing und nach einiger Zeit begann ich unkontrolliert zu zittern. Eine Schwester brachte mir ein warmes Handtuch, dass sie mir auf den Hals legte, doch das Zittern wurde nicht besser. Irgendwann, eine Ewigkeit später, zeigte man mir kurz mein Kind, ich hörte es etwas mühevoll schreien aber es war mein Junge – gesund und wohlbehalten. Ich glaube mein Mann bekam unseren Sohn in den Arm, ich war zu schwach.

Heute sind meine Kinder 26, 24 und 22 Jahre alt. Ich bin sehr stolz auf sie und liebe jeden einzelnen sehr.

„Diesen Text hat meine Mama geschrieben. Und immer, wenn ich ihn lese, muss ich weinen. Janis, mein Bruder, ist gestorben als ich nicht mal zwei Jahre alt war. Ich habe keine bewussten Erinnerungen an ihn und dennoch sehe ich ihn auf Fotos oder Videos und vermisse ihn.

Ich bewundere meine Mama sehr für ihre Stärke und ihren Glauben. Und wenn ich hier zu Hause manchmal das Gefühl habe, dass mir alles über den Kopf wächst und ich nicht mehr kann, dann hilft mir ihre Geschichte die Perspektive zu wechseln. Hilft mir dabei, wieder klar zu sehen und den Blick auf das Wesentliche, das, was wirklich im Leben zählt, wiederzugewinnen. Hilft mir dabei, mich für all das Chaos, die schlaflosen Nächte die Stunden voll Geschrei glücklich zu schätzen. Denn mein Sohn ist bei mir und gesund – am Ende ist das das aller wichtigste.
Nele“

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